Interview mit Schwester Ruth Gänstaller

Online-Redaktion: Schwester Ruth, sie sind im Laufe ihrer beruflichen Tätigkeit als Lehrerin am hiesigen Laurentius-Gymnasium in die Diakonissengemeinschaft eingetreten. Kamen Sie schon mit dieser Absicht hierher?

Schwester Ruth: Nein, überhaupt nicht. Eher im Gegenteil. Als Christin wollte ich gerade nicht an einer christlichen Schule unterrichten. Ich dachte, ich würde es mir zu leicht machen, wenn ich dort im eigenen Saft brate. Ich sah meinen Platz an einer staatlichen oder privaten „weltlichen“ Schule. Ich dachte, es wäre eine gewisse Art von Feigheit dorthin zu gehen, wo sich eh schon Christen aufhielten.

Online-Redaktion: Dachten Sie.

Schwester Ruth: Ja, dachte ich.

Online-Redaktion: Und wie kamen Sie dann dazu, doch in einer christlichen Schule zu unterrichten?

Schwester Ruth: Als ich nach meinem Lehrerexamen auf meine Prüfungsergebnisse wartete, lernte ich bei einer Tagung für evangelische Lehrkräfte auf dem Hesselberg den Pfarrer kennen, der damals für das Neuendettelsauer Schulwesen zuständig war. Er warb mich für sein Gymnasium an und zerstreute meine Feigheitsphantasien.

Online-Redaktion: Das heißt, auch im eigenen Revier gibt es genug zu tun.

Schwester Ruth: Ja, und dabei wollte ich eigentlich gar nicht unbedingt Lehrerin werden. Ich konnte mir ursprünglich auch eine Berufslaufbahn als Juristin im Diplomatendienst vorstellen. Schließlich habe ich meine Hobbies Geschichte und Französisch und dazu noch Englisch studiert. Eine Tätigkeit als Historikerin in einem Museum im Ausland hätte mich gereizt.

Online-Redaktion: Aber es kam anders.

Schwester Ruth: Ja, der Weg in den Lehrberuf zeichnete sich dann doch immer klarer ab. Aus meiner jetzigen Sicht kann ich behaupten, dass ich sehr bewusst und gerne als Pädagogin wirkte und wirke.

Online-Redaktion: Wie kamen Sie denn in die Diakonissenschaft?

Schwester Ruth: Auf meinem Weg in unsere Gemeinschaft befinden sich sehr viele kleinere und größere Wegweiser. Ehrlich gesagt: Als ich 1977 meinen Dienstvertrag als Lehrkraft des Diakoniewerks Neuendettelsau unterzeichnete, ahnte ich noch nicht einmal, dass ich zwei Jahre später Probediakonisse sein würde…
Ich will ein paar Wegmarken nennen: Schon seit meiner Jugend begreife ich mein Leben als Leihgabe Gottes, der mich führt und mir das gibt, was ich brauche. Junge Menschen, die ich in meinem Referendariat kennen lernen durfte, halfen mir, den Weg vom richtenden zum liebenden Gott zu finden. Mit meinem Leben möchte ich deshalb darauf hinweisen, was für einen großartigen Gott wir haben. Mir wurde von der Bibel her deutlich, dass wir für ein verbindliches Leben mit Jesus Wegbegleiter brauchen – Jesus schickte seine Jünger immer zu zweit aus!
Was mir in meinem ersten Jahr in Neuendettelsau auffiel war, dass ich nach und nach sehr viele Vorurteile gegen die Diakonissen und ihren Lebensstil ablegte – dabei war ich überzeugt gewesen, ich sei vorurteilsfrei!

Online-Redaktion: Sie sind eine der Schwestern, die den Ruf vernommen haben. Möchten Sie mehr darüber erzählen?

Schwester Ruth: Ich weiß noch ganz genau wann und wo es war: am Buß- und Bettag auf dem Weg vom Mutterhaus nach Hause. Es ist ein inneres Erleben, das einen aufwühlt. Zuerst war ich tatsächlich fast etwas amüsiert über diesen Ruf, gleich danach erschrocken und dann habe ich ihn erst einmal verdrängt. Je mehr ich ihn aber verdrängte umso unruhiger wurde ich.

Online-Redaktion: Wollten Sie nicht heiraten und Kinder bekommen?

Schwester Ruth: Ja, das wollte ich. Mein Lebensentwurf war, die Nachfolge Jesu in einer – meiner! – christlichen Familie zu leben.

Online-Redaktion: Und warum dann die Diakonissengemeinschaft und nicht die christliche Ehe?

Schwester Ruth: Ich bin ein sehr genauer Mensch. Ich will alles ganz 100%ig machen: mit meinem Beruf und mit der Familie, den Kindern. Würde ich alles zu tun versuchen, wäre ich mit meiner Ausübung von jedem einzelnen unzufrieden. So musste ich mich entscheiden. Mehrere Erlebnisse jener Wochen führten mich auf den Weg zugunsten des Berufs.

Online-Redaktion: Gab es Momente der Reue?

Schwester Ruth: Nein, aber eine nette Anekdote: Als ich meinen Eintritt in die Diakonissengemeinschaft öffentlich machte, kommentierte dies ein junger Bekannter mit großem Bedauern darüber, dass er mich nicht eher kennen gelernt hatte. Das hat mir schon geschmeichelt.

Online-Redaktion: Und wie reagierten Ihre Schüler?

Schwester Ruth: Ich erinnere mich an eine Neuntklässlerin, die fragte: „Schwester Ruth, wenn Sie Diakonisse sind, dann  müssen Sie ja wohl das tun was der Rektor und die Oberin sagen? Aber eigentlich sollen wir doch tun, was Gott sagt!“
Das fand ich eine sehr reife Frage für eine Fünfzehnjährige.

Online-Redaktion: Was haben Sie geantwortet?

Schwester Ruth: Ich habe ihr voll zugestimmt, dass Gottes Gebot Vorrang haben muss und habe es dann so ausgedrückt, dass ich hoffte, ich werde nicht die Diakonisse Nummer 668, sondern die Diakonisse Ruth Gänstaller.

Online-Redaktion: Dass Sie mit Leidenschaft Diakonisse sind, sieht jeder, der mit Ihnen zusammenarbeitet. - Es war die richtige Entscheidung?

Schwester Ruth: Ja, und dies wurde mir auch von Schülern bestätigt, noch bevor meine Entscheidung offiziell bekannt wurde: Nachdem ich meinen Eintritt für mich beschlossen hatte, fand ich in meiner 9. Klasse einen anonymen Zettel auf meinem Pult:: „Liebes Fräulein Gänstaller, haben Sie eigentlich seit Neuestem einen Freund? Sie sehen jetzt immer so glücklich aus. – Eine Gönnerin“

Online-Redaktion: Das spricht für sich. Vielen Dank für dieses aufschlussreiche und kurzweilige Interview.